Im Kinofilm: diffuse Anklage „der Medien“, „der Gesellschaft“, „der EU-Agrarpolitik“. Gezeigt ein Landwirt, der gegen „bürokratische Windmühlen“ kämpft und keinen Ausweg mehr sieht.
Filmschnitt: Wie komme ich jetzt zu dem Landwirt, der über seine Sorgen und Nöte spricht und sich Hilfe holt? Genau das zeigen etwa Film-Beiträge von betroffenen Landwirten, die ihre Geschichte von Burnout, Suizidgedanken und Depression erzählen.
In drei Teilen spreche ich im Blog „Psychische Gesundheit“ über die Fragen: Was sind Ursachen für die überdurchschnittlich hohe Suizidrate von Landwirten in Europa? Welche sozio-ökonomischen und ökologischen Besonderheiten weisen landwirtschaftliche Betriebe auf und welche Stressfaktoren gibt es für die grüne Branche? Wie geht es Landwirtinnen (und Familienangehörigen), die in der Regel die ersten sind, die morgens aufstehen und die letzten, die abends ins Bett gehen? Wie geht es den in der Landwirtschaft Erwerbstätigen? Und im letzten Teil: Welche (politischen) Leitlinien ergeben sich auf europäischer Ebene und wie setzt Deutschland den notwendigen Unterstützungsbedarf für landwirtschaftliche Betriebe konkret um?
Eine im Dezember 2024 veröffentlichte Studie der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) liefert zum Thema „Psychische Gesundheit in der Landwirtschaft“ wertvolle Erkenntnisse aus Sekundärforschung und aus Interviews mit wichtigen Branchen-Akteuren. Ich zitiere aus der Zusammenfassung (Hervorhebungen von mir):
„Soziale Isolation und die Unfähigkeit, sich auszuruhen, verursachen Stress
Die Landwirtschaftskultur ruft oft Bilder von widerstandsfähigen Menschen hervor, die Werte wie Stoizismus, Stärke und traditionelle Ideologien von Männlichkeit und Patriarchat verkörpern und trotz Widrigkeiten durchhalten. Diese kulturellen Narrative sind tief in den historischen und sozialen Kontexten landwirtschaftlicher Gemeinschaften verwurzelt, in denen Überleben und Erfolg stark von harter Arbeit, Ausdauer und der Fähigkeit abhängen, schwierigen Bedingungen standzuhalten.“ (1)
Traditionell wird der Bauernhof als männlicher Bereich angesehen und Männer werden als „natürliche“ Landwirte definiert. Landwirtschaft gilt als männlich, gleichgesetzt mit körperlicher Arbeit, Produktivität, Kampfgeist und Selbstaufopferung. Landwirte sind stoisch, einfallsreich, widerstandsfähig, unabhängig und fleißig. Die daraus entwickelten Erwartungen und Normen prägen die Identität von Landwirten. Die Arbeit von Frauen auf Bauernhöfen wird als zweitrangig betrachtet. Verbunden mit patrilinearer Erbfolge, mangelndem Zugang zu (technologischem) Wissen über die Landwirtschaft und geringeren Eigentumsrechten an landwirtschaftlichen Unternehmen ist die Stellung von Landwirtinnen als prekär einzustufen.
„Schwierige Arbeitsbedingungen" (..von Landwirten..) "bedeuten oft eine unerbittliche Arbeitsbelastung. Hinzu kommt die Einsamkeit bei der Arbeit in abgelegenen ländlichen Gebieten und die ständige Verfügbarkeit – Faktoren, die zu Gefühlen der Einsamkeit und sozialen Isolation führen und das allgemeine Wohlbefinden erheblich beeinträchtigen. Die Notwendigkeit, ständig verfügbar zu sein, stellt ein konkretes Risiko für soziale Beziehungen dar, kann zu familiären Konflikten führen und wirkt sich nachteilig auf das psychosoziale Wohlbefinden von Landwirten und Landarbeitern aus. Es gibt nur begrenzte Möglichkeiten für Erholung und Entspannung, was eine Hauptursache für berufsbedingten Stress ist, der sich auf das Ermüdungsniveau, die Freizeit und das psychische Wohlbefinden von Landwirten und Landarbeitern auswirkt. Mangelnde Investitionen in die Infrastruktur ländlicher Gebiete und die Zunahme von autonomer, isolierter Arbeit verschärfen diese Risiken.
Darüber hinaus beeinflussen Werte und Verhaltensweisen, die mit traditionellen Bauernkulturen verbunden sind, das Hilfesuchverhalten und die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen, da männliche Stereotypen, Stoizismus und ländliche soziokulturelle Normen (z. B. geschlechtsspezifische Arbeitsteilung) von Männern verinnerlicht werden. Dies kann wiederum dazu beitragen, dass sich Landwirte und Landarbeiter zurückziehen und isolieren. Die Zurückhaltung der Landwirte, Probleme anzusprechen, in Verbindung mit ihrer Tendenz zur Selbstisolation führt dazu, dass sich die Probleme mit der Zeit verschlimmern. Hinzu kommen Vorurteile und Stigmatisierung gegenüber Landwirten, in Verbindung mit der öffentlichen Meinung, dass landwirtschaftliche Praktiken schädlich für Tiere und die Umwelt sind, die zu Gefühlen der Entfremdung führen. Nach Ansicht von Branchen-Akteuren hat die öffentliche Meinung einen tiefgreifenden Einfluss auf das Gefühl der Würde, Wertschätzung, Wichtigkeit sowie der physischen und psychischen Sicherheit von Landwirten und Landarbeitern und beeinflusst die Entscheidung potenzieller Neueinsteiger und der Kinder von Landwirten, in diesem Sektor zu bleiben oder neu einzusteigen.“ (2)
Der Landwirt ist längst vom Holzfäller zum Geschäftsmann transformiert. Der Erfolg in der Landwirtschaft ist weniger von harter körperlicher Arbeit abhängig als von rationalen Entscheidungen „professioneller” Männlichkeit. Da die Landwirtschaft einen radikalen Wandel durchläuft, sind die traditionell definierten männlichen Rollenbilder auf dem Land bedroht. Kleinbauern und isolierte Landwirte sind möglicherweise am stärksten von den Herausforderungen für die hegemoniale Männlichkeit betroffen.
Eine ganze Reihe von Stressfaktoren für Landwirte, die in Verbindung mit langen Arbeitszeiten (durchschnittlich 48 Stundentage mit großen saisonalen Spitzen) und wenig Erholung, mangelnder Krankheitsvertretung schnell zu Überlastung führen können.
„So leidet beispielsweise jeder vierte irische Landwirt unter Burnout, und in Frankreich begeht alle zwei Tage ein Landwirt Suizid. Darüber hinaus gilt die Arbeit in der Landwirtschaft als einer der gefährlichsten Berufe in Europa, wobei der Sektor zu den Branchen mit den meisten tödlichen Unfällen im Jahr 2021 gehört.“ (3)
„Wirtschaftlicher, regulatorischer und administrativer Druck sind entscheidende Stressfaktoren
Finanzielle Unsicherheit trägt zu einem Gefühl der Ungewissheit und Unvorhersehbarkeit unter Landwirten und Landarbeitern bei. Dieses Risiko wirkt sich eher auf Landwirte als auf Landarbeiter aus, da Landwirte die letztendliche Verantwortung für das Überleben ihres Betriebs und ihres Unternehmens tragen. In einigen Fällen charakterisieren die Einhaltung von Vorschriften, Exportkontrollen, die Lebensmittelpreise und der Erhalt von Subventionen (z. B. EU-Agrarförderung) die Lebensgrundlage der Landwirte und den Agrarmarkt. Wirtschaftspolitik, Marktdruck, Zugang zu Krediten, Verringerung der Verhandlungsmacht und die Unfähigkeit, die Kapitalrendite zu kontrollieren, führen zu negativen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit, zu Stress, Depressionen und im schlimmsten Fall zum Selbstmord. Die Angst vor einem finanziellen Desaster, das zum Scheitern des Betriebs und zum Verlust des Hofes führt, der Druck, kontinuierlich zu investieren, um das Produktivitätsniveau aufrechtzuerhalten, knappe Gewinnspannen, niedrige Einkommen und Löhne, Arbeitsplatzverlust und die Rentabilität des Betriebs tragen zur finanziellen Belastung bei. In Frankreich beispielsweise leben doppelt so viele landwirtschaftliche Haushalte unterhalb der Armutsgrenze wie im nationalen Durchschnitt.
Wirtschafts-, Umwelt- und Regulierungspolitik wirken sich auf den Verwaltungsaufwand der Landwirte aus, wobei die zunehmende Regulierung zu einer erheblichen Belastung wird. Das richtige Verständnis und die ordnungsgemäße Umsetzung dieser Politik sind für die Einkommensstabilität und die landwirtschaftlichen Praktiken von entscheidender Bedeutung.
Darüber hinaus stellen finanzielle Unsicherheit und regulatorischer Druck eine Herausforderung für die Nachfolge in landwirtschaftlichen Betrieben dar. Daher ist der Schutz vor dem Verlust des Betriebs ein wichtiges Anliegen, insbesondere für ältere Landwirte. Der Druck auf Landwirte trägt zu einem Trend zur Konzentration landwirtschaftlicher Betriebe und zur Umstrukturierung von Unternehmen bei. Die anfänglichen finanziellen Gewinne größerer landwirtschaftlicher Betriebe können jedoch letztendlich zu einer intensiveren Produktion führen, da die Landwirte mehr produzieren müssen, um wirtschaftlich zu überleben. Zu den zusätzlichen Risiken, die mit dem Strukturwandel landwirtschaftlicher Betriebe verbunden sind, gehören erhöhte Managementaufgaben und eine geringere soziale Unterstützung aufgrund des Rückgangs der ländlichen Bevölkerung.“ (4)
„93 % der landwirtschaftlichen Betriebe in der EU sind Familienbetriebe, in denen 50 % oder mehr der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte aus Familienmitgliedern bestehen. Die Arbeitskräfte in stärker industrialisierten landwirtschaftlichen Betrieben sind Landarbeiter, darunter ein hoher Anteil an Wander- oder Saisonarbeitern.“ (5)
„Ein Sektor im tiefgreifenden Wandel
Veränderungen in der Landwirtschaft, beeinflusst durch zunehmende Kapitalintensität, Digitalisierung, Klimawandel, Bevölkerungsrückgang und steigende Nachfrage nach Bio-Produkten, führen zu zusätzlichen Belastungen. Das demografische Profil des stereotypen männlichen Landwirts verändert sich, da Landwirte und Landarbeiter aus dem Sektor ausscheiden und Frauen und Migranten die freiwerdenden Stellen übernehmen. Gleichzeitig schreitet die Digitalisierung voran, wenn auch ungleichmäßig verteilt über die EU. Ebenso ist die Umstellung auf ökologischen Landbau ein wachsender Trend, der unter anderem mit der steigenden Nachfrage nach Bio-Produkten zusammenhängt. Die mit jedem dieser Trends, einschließlich des Klimawandels, verbundenen allgemeinen Anforderungen erfordern eine Änderung der Arbeitspraktiken sowie finanzielle Investitionen und Weiterbildungen.
Jeder dieser Trends bringt auch einzigartige Stressfaktoren mit sich. Der Klimawandel, der sich in einer Zunahme längerer Hitzewellen, die zu Dürren führen, und einer Zunahme von Überschwemmungen äußert, gefährdet die Produktivität, führt zu einem Rückgang der landwirtschaftlichen Betriebe, schränkt den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen ein und beeinträchtigt die Gesundheit von Tieren, Pflanzen, Menschen. Die Arbeitsbelastung steigt und neue Aufgaben (z. B. nächtliches Bewässern) kommen hinzu, was sich zusätzlich auf die Ruhezeiten auswirkt. Zu den psychischen Folgen des Klimawandels gehören ein erhöhtes Risiko für Depressionen, Hoffnungslosigkeit, Traumata und Solastalgie (6). Gleichzeitig verstärken politische Maßnahmen, die den negativen Auswirkungen des Klimawandels entgegenwirken sollen, das Gefühl von Stress und Unsicherheit. Darüber hinaus erhöhen neue Technologien die kognitive Arbeitsbelastung, führen zu Gefühlen der Monotonie und Einsamkeit, lösen Bedenken hinsichtlich Datenschutzes und -sicherheit aus und verursachen einen allgemeinen Verlust an Autonomie und Kontrolle, der mit der Abhängigkeit von externen Anbietern zur Behebung von Problemen im Zusammenhang mit neuen digitalen Tools verbunden ist.
Vor diesem Hintergrund veranlasst die Sorge um die Zukunft der Landwirtschaft einige Landwirte dazu, auf ökologischen Landbau umzustellen. Die Umstellung eines Betriebs kann bis zu drei Jahre dauern, und zu den Stressfaktoren, die während dieser Zeit auftreten können, gehören Ertragseinbußen, die Anpassung an strengere ethische Verpflichtungen, finanzielle Unsicherheit, höhere Arbeitsbelastung, die Umorganisation der Arbeit und der Lebensmittelproduktion sowie Skepsis seitens der Unterstützungsnetzwerke. Diese Faktoren können Gefühle von Angst, Nervosität und schwerem Stress auslösen.“ (7)
Im Blog-Beitrag (Part 2) zeige ich anhand der zitierten Studie, dass es einen hohen Forschungsbedarf und wenig Wissen dazu gibt, wie es Landwirtinnen geht (und im Betrieb mitarbeitenden Familienangehörigen), die in der Regel die ersten sind, die morgens aufstehen und die letzten, die abends ins Bett gehen. Gibt es Studien zur Frauengesundheit in der Landwirtschaft? Und weiter: Wie geht es den in der Landwirtschaft erwerbstätigen Wander- und Saisonarbeiter*innen und welchen (psychischen) Belastungen sind sie ausgesetzt? Welche Gruppen sind gar nicht im Fokus von Befragungen oder Studien?
(1) Seite 3, Summary Mental health in agriculture: preventing and managing psychosocial risks for farmers and farm workers © European Agency for Safety and Health at Work,
2024
Authors: Evelyn Donohoe, Francesco Camonita, Valentina Tageo, Camille Guey, Ilana Zejerman, Laura Todaro, Lode Godderis and Anke Boone.
(2) ebenda Seite 3-4
(3) ebenda Seite 3
(4) ebenda Seite 4
(5) ebenda Seite 3
(7) ebenda Seite 4
Aus dem Englischen übersetzt mit DeepL.com (kostenlose Version)
(6) „Solastalgie bezeichnet dabei ein Gefühl des Verlustes, der Trauer und den empfundenen emotionalen Distress, der entsteht, wenn es zu Umweltveränderungen oder -zerstörungen im vertrauten Lebensraum kommt“ (8) So können andauernde Trockenheit oder Starkregen, die in der heimischen Region auftreten psychischen Stress verursachen. Landwirte stellen eine Risikogruppe für hohe psychische Belastung dar. Können aber auch durch Handlungen gegen den Klimawandel helfen, die negativen psychischen Folgen zu begrenzen.
(8) Definition Umweltbundesamt, abgerufen am 07.08.2025