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Spannungsbogen

Oder Abwertung aus Scham, überhaupt Teil eines Konflikts zu sein.

Sei es aus dem Bedürfnis heraus, sich größer und besser zu fühlen. Die andere(n) Person(en) kleiner zu machen.

Sei es als weitere Stufen der Eskalation zum Angriff überzugehen (Modell nach Glasl, F. 1), um einem vermeintlichen Angriff zuvorzukommen oder die Gegenseite vernichten zu wollen. 

 

Folgender Ausschnitt aus einem umfangreichen Hof- und Familienkonflikt beschreibt Strategien der Abwertung:

Dem Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebs droht aufgrund eines erheblichen und möglicherweise vorsätzlichen Bewirtschaftungsfehlers, das „Aus“ für die Direktvermarktung von Geflügel und Eiern.  Bei einer unangekündigten Vor-Ort-Kontrolle der zuständigen Behörde begleitet eine Kommilitonin der Tochter, die Agrarwissenschaft studiert aus Interesse den Rundgang. Sie „entdeckt“ das als GVO-Ware deklarierte Futtermittel und weist fragend darauf hin. Der Inhaber verfängt sich in widersprüchlichen Aussagen und kann auch die klärenden Dokumente nicht vorlegen. Er schimpft auf „die überbordende Bürokratie und Überregulierung“ und wirft die Kontrolleure vom Hof, was nicht ohne Folgen bleiben wird.

Obwohl die Behörde den Fall noch prüft und Stillschweigen zusichert, dringen Einzelheiten an die Stammkundschaft der (gewerblichen) Direktvermarktung. Diese meldet sich alarmiert im Hofladen – einem Betriebszweig, den die Ehefrau sich aufgebaut hat, um ein eigenes Einkommen mit Altersabsicherung über den Hof zu generieren. Alleiniger Inhaber des Hofes ist der Ehemann. Im Falle einer Scheidung könne sie wenigstens mit einer Rente rechnen. Ihren erlernten Beruf hat sie in Teilzeit weitergeführt. Sie fühlt sich um ihr Einkommen betrogen und greift den Ehemann als „Dummkopf“ an.

Die Tochter soll ohne, dass bisher ein konkreter Zeitpunkt vereinbart wurde, Nachfolgerin im Betrieb werden. Sie hat dem Vater schon häufig seine „kreative und unkonventionelle Bewirtschaftung“ an den Kopf geworfen, die sich so gar nicht mit dem Wissen aus Studium und Agrarmanagement deckt. Sie fühlt sich vor den Kommilitoninnen bloßgestellt und zweifelt laut, ob sie noch den Hof übernehmen wolle.

Der Sohn wendet sich ab, mit den Worten: „Löst ihr mal schön euer Problem alleine“. Er war sich immer sicher gewesen, in der Hofnachfolge an erster Stelle zu stehen, bis der Vater ihm seine Entscheidung eröffnete. Seitdem herrscht Schweigen.

Als die um Hilfe gerufene Beraterin ankommt, steht die lokale Presse im Hof („die wurden von der K. informiert“ hört sie den Inhaber schreien). Sie findet die Familie in Chaos und Streit vor.

Um die Abwärts-Spirale der gegenseitigen Abwertungen zu unterbrechen, unterstützt sie das Familiensystem darin den eigenen Selbstwert wiederherzustellen, um Ressourcen für Lösungen zu aktivieren.

 

In der Beratung nicht überstürzt zu handeln und Spannungen auszuhalten, führt zum eigenen Bewertungssystem: Ich möchte wirksam und unterstützend sein und nicht persönlich abgelehnt werden. Doch bei unlösbaren Fragen oder gegensätzlichen Sichtweisen können Erwartungen, die an die Beratungsperson gestellt werden, gar nicht oder unzureichend erfüllbar sein. Wie gehen wir mit eigenen (biographischen) Ängsten um, wenn etwas nicht so gelingt?

 

Spreche ich meine Begrenztheit offen-souverän auf der Metaebene an, erweitere ich den Kommunikationsraum. Ich bin auch Role model in der Situation. Es ermöglicht mir, meinen eigenen Standort im Spannungsbogen zu bestimmen.

1 GLASL, F.(2017): Selbsthilfe in Konflikten. Stuttgart: Freies Geistesleben.